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Rostbarkeiten
Anlässlich einer Ausstellung meiner Bilder in Mainz
hatte die Kunsthistorikerin Astrid Petermeier die einführenden Worte gesprochen.
Hier sind sie in Gänze.
"Rost kann ein großartiger Künstler sein, macht sich jedoch selten beliebt. Er malt nicht, er zeichnet nicht, er verfolgt nur ein Ziel: den Verfall, das Aufzeigen des Zahns der Zeit. Wenn Rost sich zeigt, ist die Zeit des Rastens vorbei. Vor Claudia Dorkas Bildern jedoch ist Rasten angesagt. Nur, wenn wir uns Zeit nehmen, können wir die kleinen Bildnisse und Geschichten entdecken, denen unsere Fantasie neues Leben einhaucht: klettern dort drei kleine Gespenster an einer Wand hoch? Fressen sich hier Fabelwesen ins Blau? Haben wir es da vielleicht mit einer Kreuzigungsdarstellung zu tun? Und erinnert dieser weißliche Überzug nicht an Vanillesauce?
Die alte Frage, die Künstlern so gern gestellt wird – was soll das denn darstellen? – erübrigt sich in dem Moment, in dem wir wissen, dass es nicht die Künstlerin war, die diese ihren Bildern immanenten Bildnisse erstellt hat. Vielmehr war es der Prozess der Oxidation, auf den sie keinen Einfluss hat. Die Absichtslosigkeit gibt uns das Recht, hineinzusehen, was immer wir wollen. Oder auch einfach die Form- und Farbgebung zu genießen. Da hier niemand gezeichnet hat, sind wir davon befreit, etwas erkennen zu müssen oder nichts erkennen zu dürfen.
Vor einem verrostenden Tor stehend, gestatten wir gerade mal Kindern, darauf Vanillesauce, Gespenster oder Kreuzigungen zu sehen. Wir freuen uns über ihre Fantasiebegabung und denken selbst an Drahtbürsten. Denn „Rost verkörpert Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit“, wie selbst das Traumdeuterlexikon (www.traumdeuter.ch) vermeldet.
Welche Schritte liegen zwischen dem real rostenden Gegenstand, dessen Verfall uns zum Handeln zwingt und diesen Bildern, die uns zur Muße und zum Fantasieren anregen? Schritte, die mit Zufall oder Absichtslosigkeit nicht mehr viel zu tun haben:
Claudia Dorka wählt jeweils einen sehr präzisen und eng begrenzten Ausschnitt. Der Gegenstand, der vor sich hinrostet, ist als solcher nicht mehr erkennbar.
Eine weitere Verfremdung besteht in der Veränderung des Materials: von der Rostebene, die bereits eine natürliche Materialveränderung bedeutet, geht es auf die Fotografieebene. Diese könnten wir noch als Dokumentation betrachten – es wird ein Augenblick der Selbstzerstörung des Materials festgehalten. Doch die Dokumentation beließe der Sache eine Verbindung zum Alltäglichen.
In einem dritten Verfremdungsschritt wird die Fotografie auf Leinwand übertragen, erhält also eine völlig neue Textur. Waren wir nicht einen Moment lang versucht, uns zu fragen, ob wir es mit Malerei zu tun haben?
Dann wieder wäre es wohl nur Kindern gestattet, darin die kleinen Bildnisse zu sehen. Als erwachsene Kunstbetrachter aber müssten wir uns andere Fragen stellen.
Die Freiheit, uns etwas auszudenken und damit selbst wieder zu Kindern zu werden, entsteht aus dem Wissen, dass der Rost keine Absicht verfolgt. Dass er ein Produkt des relativen Zufalls ist, also sehr wohl kausal bedingt, aber nicht steuer- oder in seiner Erscheinungsform absehbar. Durch Claudia Dorkas sehr bewusst gesetzte Verfremdungen, die das Gegenteil von schnellen, vom Zufall geprägten Schnappschüssen sind, entsteht eine aleatorische Bühne zur Gestaltung eigener Bilder und Geschichten.
Ebenso, wie wir Zeit brauchen, um etwas hineinzusehen, nimmt sie sich viel Zeit, ihr Bild zu finden. Sie muss das Licht beachten, das die Farbigkeit beeinflusst. Sie muss sich für Schärfen und Unschärfen entscheiden. Wenn man, wie Claudia Dorka, jeweils nur ein Bild anfertigt, also nicht aus vielen Fotografien desselben Sujets auswählt, ist Geduld gefragt. Rost ist ein Zeichen der Zeit und diese Bilder verlangen sowohl der Künstlerin als auch uns Zeit ab.